Von kleinen Wünschen, großem Denken und
dem Warten auf das Leben
Die Tarnkappe suchen und finden
Das Haus Nummer
1 am Peter-Glückh-Platz im Zentrum
von Mals ist das Apothekerhaus.
Ein stattliches Gebäude, in dem außer der Heilkunst manch
andere Kunst lebendig ist. Zum Beispiel die Schreibkunst: Der Apotheker
Johannes Fragner-Unterpertinger schreibt Romane, Erzählungen und
Kurzgeschichten. Unter dem Namen Hans Perting. Belesen und gesprächig
wie er ist, sind seine Geschichten voller Esprit und Überraschungen.
"Dolomiten": Sprechen,
Formulieren, schreiben liegt Ihnen. Sie sind kompetent und - wie ich
meine - mit Freude dabei. Nun gelten die Vinschger nicht gerade "von
leichter Zunge". Woher kommt Ihr Talent?
Johannes Fragner: Sofern man überhaupt
von Talent sprechen kann, und nicht eher von Belastung... Ich bin nämlich
logorrhoisch veranlagt, leide also an pathologischem Redefluss, und daher
rührt wahrscheinlich auch mein unstillbarer Schreibfluss. Spaß beiseite,
wenn Talent vorhanden ist, habe ich es von der Großmutter mütterlicherseits
geerbt, von der Hilda Preindlsberger aus Glurns, Richterstochter, hochbegabt,
hochintelligent. Auch meine Eltern waren immer gute Geschichtenerzähler.
Und eine Kindheit voller Märchen und Geschichten ist prägend.
Auch lange und ausdauernde Kopfarbeit steht hinter jedem Schreibprozess.
"Dolomiten": Der "Feuerbusch",
erschienen 2000, hat Tempo. Die Art Protokollform wirkt suggestiv,
so dass man vergisst, dass es sich um ein Spiel handelt.
J. Fragner: Protokollform gefällt
mir nicht. Vielmehr versuche ich, weil ich ja nicht ums Maul schreiben
muss, die Sprache dem Inhalt anzupassen. Im "Feuerbusch" wollte
ich den geographischen Weiten sprachlich gerecht werden. Solche habe
ich in Peru erlebt, ich meine die geistigen Weiten. Und in solchen Weiten
hat viel Platz.
"Dolomiten": Vieles,
was literarisch von Wert ist, transformieren Sie.
J. Fragner: Dieses Wertvolle ist für
mich. das Ausschlaggebende. Über das Schreiben setze ich mich mit
dem auseinander, was mein Leben erfüllt. Gedanken zum Leben des
Menschen an sich und zu meinem eigenen.
"Dolomiten": Heuer
ist "Des
Purpurhutes" erschienen, nach dem "Feuerbusch" und
dem "Kranich".
Sie holen weit aus, auch die Provinz bringen Sie ein, Kaltern, Vinschgau.
Braucht es solche Bodenhaftung?
J. Fragner: Wahrscheinlich ja. Im
Sinn von "fester Boden". Von dem man ausgehen kann. Und ich
werde nicht müde, den ehemaligen ungarischen Staatspräsidenten
Dr. Àrpàd Göncz zu zitieren, als er 1999 die Frankfurter
Buchmesse eröffnete: "Gute Literatur muss die Welt erweitern.
Das gelingt der wahren Literatur, weil sie ortsgebunden ist. Gute Literatur
ist immer provinziell, spielt in einem Dorf, in einem Haus, in einem
Stockwerk. Nur wer sich dem Besonderen zuwendet, kann darin auch das
Allgemeine finden." Unser Verlagspräsident Dr. P Bruno Klammer
formulierte fast zeitgleich dieselben Gedanken, formulierte und gründete
einen Verlag, der "Provinz-Verlag" getauft wurde.
"Dolomiten": Sie
erwähnen den Provinz-Verlag.
J. Fragner: Ich möchte nicht nur
selbst schreiben, sondern auch andere unterstützen. Der Provinz-Verlag
ist eine soziale Genossenschaft ohne Gewinnausschüttung. Und als
Mitglied des Provinz-Verlages bin ich auch Mit-Verleger. Dann gibt es
noch die Hans-Perting-Buchwerkstatt,
wo unabhängig Autoren herausgebracht werden. Die Bücher gibt
es nicht im Buchhandel, und die Buchwerkstatt ist
eine Starthilfe für das erste Buch.
"Dolomiten": Ihr
Erzählton hat etwas Leichtes, Schwereloses. Doch gibt es ein durchdachtes
Konzept für die literarische Form.
J. Fragner: Mein Versuch ist es, Sprache
und Inhalt in Übereinstimmung zu bringen. Entsprechend zu den landschaftlichen
Weiten des "Feuerbuschs", musste ich zum Beispiel im "Kranich" die
kleine, karge und
eben auch wortkarge Welt, die "fünf Stunden lang ist", in einer
aufs Äußerste verknappten Sprache beschreiben. Diese kleine Welt
existiert in einem imaginären Seitental des Vinschgau. Im Sinne von Göncz
sind Überschaubarkeit und Urbanität mit im Spiel, wenn etwas dauern
soll.
"Dolomiten": Vom
Stoff her ist der "Kranich" fast volksstückmäßig
angelegt. Grafen, Schmuggler, Pfarrer, unehelicher Sohn ...
J. Fragner: Es sind Randfiguren. Weil
Rand-, Grenz-, Minderheitensituationen stärker herausfordern als
der Normalfluss der Dinge. Ich glaube, dass auch durch Nebenfiguren die
Hauptfiguren Farbe bekommen: Dem Raetho Klammsteiner, in seiner kleinen
Welt zum Beispiel, offenbart sich auch der Sinn der Geschichte, des Lebens.
Ich halte es mit Dr. Göncz und bin überzeugt, dass gerade Lokalkolorit
den Stil schafft. In der neueren Literatur des Vinschgau fällt überhaupt
die Liebe zum Eigenen, zum Regionalen auf. Es ist eine selbstbewusste
Annahme der Lokalgeschichte. Bei Angerer, Baldauf-Kraushaar, Müller
etc. - jeweils unter anderen Perspektiven ...
"Dolomiten": Und
dann sind es die Figuren, die das erste Interesse des Lesers auf sich
ziehen.
J. Fragner: Stimmt. Und deshalb schreibe
ich beispielsweise in allen meinen Büchern einen Refrain: Nach welchen
Mustern entwickelt sich ein Leben? Gibt es gute oder böse Menschen?
Sind es die Umstände, die einen Menschen zu einem guten oder bösen
Menschen machen? Dieser Refrain wiederholt sich. Im Übrigen geh'
ich selber ja mit offenen Augen und Ohren durchs Leben. Ich bin einer,
der das, was geschieht, auf eigene Weise durchdenkt, bearbeitet, verarbeitet.
Ich versuche zu erkennen, in welchen wechselseitigen Bezügen Menschenleben
ablaufen, was das Leben mit uns treibt, wohin es uns treibt. Als Erzähler
beschreibe ich dann das Schicksal solcher Figuren. Auch aus der Geschichte
schöpfe ich. Das bietet sich an. Und die Gefühle des Lesers
speisen sich aus der Anteilnahme am Erleben und Geschick der Figuren.
"Dolomiten": Die
Muster des Lebens: Eigentlich sind Ihre Protagonisten durchwegs hochmoralisch,
geistreich. Modrow ist Kriminalist, Pomella ist "Schuldiger",
am Ende auch Raetho Klammsteiner ...
J. Fragner: Was ist Moral? Das ist
die Frage. Die eigentliche Moral schreibt das Leben. Das Leben selbst
ist ein ethischer Verlauf von Zusammenhängen, Stimmigkeiten, Unstimmigkeiten
... Leben ist Liebe, Hass, Rache, Verzeihung ... Ich stelle mir und dem
Leser die Frage, ob es "Muster" gibt, Lebensmuster, ob es Zufälle
gibt, Schicksal, Geschick, Zusammenhänge? Der Leser hat es ja beim
Verstehen der Figuren zu einem wesentlichen Teil nicht nur mit Fremdem,
sondern auch mit sich selbst zu tun.
"Dolomiten": Da
komme ich auf die Mystik und die Mythen in Ihren Büchern. Die
Muma Veglia im "Kranich" fällt mir ein, der Inka-Mythos
im "Feuerbusch", die Zahlenkombinationen im "Purpurhut".
J. Fragner: Auch in den mystischen
Zahlenspielen der Völker erkenne ich Muster und Zusammenhänge,
vielleicht auch ein höheres Wirken des "unbekannten Gottes".
Stichwort Clavicembalo ben temperato von Johann Sebastian Bach - Aufbau
der Kollagenstruktur unserer Haut. Die Fibonaccizahlen. 4:2:1-Resonanzen
im Weltall. Auch ist in meinen Büchern kein Name nur zufällig
verwendet: Vittorio = Viktor = der Sieger. Diotallevi = Gott ziehe dich
auf. Raetho = der Räter. Balthasar = Gott schütze dein Leben.
Abel = der Hauch, die Vergänglichkeit. Noelle =die Botschafterin.
Giovanni, Johannes = Gott ist gnädig.
"Dolomiten": Nun ist
zum Beispiel die Situation des Walter Pomella ziemlich surrealistisch,
auch absurd: Das Unsichtbar-Werden, die Mistwürmer, die Kerker-Situation.
J. Fragner: Es ist wie im Märchen
vom Wolf und den sieben Geißlein. Alle Geißlein findet und
frisst der böse Wolf. Nur das siebte Geißlein, das sich im
Uhrenkasten versteckt, findet er nicht. Der Uhrenkasten wird für
mich zum Symbol von Raum und Zeit. Im Uhrenkasten ist das Geißlein
eben außerhalb von Raum und Zeit. Und so kann es der böse
Wolf nicht finden. Also erfinde ich für Walter Pomella als Geburtstagsgeschenk
eine Tarnkappe, die ihm der mythische König Laurin schenkt, damit
sich Pomella in Zeiten der Irrung und Wirrung zurückziehen kann.
Um innehalten zu können, nachzudenken, zu reflektieren. Die Tarnkappe
ist der Uhrenkasten, der in den Lebenssituationen einfach da ist. Diese
Tarnkappe, die jeder ein bisschen in sich suchen und finden sollte, hilft
an der Grenze zwischen dem Diesseits- und dem Jenseitsland. Sie ist hilfreich
für eine Antwort auf die Frage, ob und wie sich das Leben entwickelt.
Und der Autor kann da eingreifen, er kann ironisieren, Systeme, Ambivalenzen
aufs Korn nehmen.
"Dolomiten": Eine
alte Frage ist, ob die Inszenierung der Figuren Auseinandersetzung
mit der eigenen Personalität bedeutet.
J. Fragner: Mir geht es um die Auseinandersetzung
mit dem Menschen. Mit dem Leben des Menschen, mit seinen Freuden, mit
seinem Leiden. Der Mensch ist interessant. "Ölbaum und Zypresse" war
mein erstes veröffentlichtes Werk, da ist Autobiografisches drinnen.
Ein autobiografisches Werk, eines, ist vielleicht legitim. Aber die reine
autobiografische Literatur halte ich für eine unerträgliche
Nabelschau. Ich will Dr. Àrpàd Gönczs Worte verfremden:
Wer sich nur dem eigenen Nabel zu wendet, findet weder allgemein Gültiges
noch Besonderes. Wollte man nur autobiografisch schreiben, müsste
man ein genialer Autor sein, und der bin ich nicht.
"Dolomiten": Es
fällt auf, dass Religiosität, Religion, religiöse Institutionen
stark vertreten sind. Affinität oder geistige Waffe?
J. Fragner: Beides. Affinität
und geistige Waffe. Man nimmt das Wort "Gott" leicht in den
Mund. Schon als Kind war ich fasziniert, wenn ich gehört habe, dass
die alten Römer, nachdem sie all ihren Göttern geopfert hatten,
am Ende der Zeremonie auch noch dem "Unbekannten Gott" dankten
und opferten. Diesen "Unbekannten Gott" frage ich, ob es ihn
gibt, wo er ist, nach welchen Vorgaben und Mustern sich ein Leben entwickelt
Ich kenne die Bibel recht gut, ich habe mich durch viele Werke über
die großen und die vielen kleinen Religionen gelesen. Fast alle
diese Bücher sind durchtränkt vom "Unbekannten. Gott".
Den ich lieben kann und hassen, zugleich.
"Dolomiten": Stichwort
Liebe: Liebesszenen bekommen Sie schön hin. Ästhetisch, möchte
ich sagen.
J. Fragner: Ich war zeit
meines Lebens Romantiker. Und ich bewahre mir die Sensibilität,
die Fähigkeit, bei einem wundersamen Sonnenaufgang betroffen zu
sein, beim Betrachten eines Tautropfens auf einer wunderbaren Blüte,
beim Lächeln eines Kindes, beim betörenden Blick einer schönen
Frau, beim Verlöschen eines Lebens ...
"Dolomiten":Überhaupt
haben Ihre Bücher ein unverwechselbares Kolorit: Melodie, Denken
auf mehreren Schienen, verschiedene Disziplinen.
J. Fragner: Eine Grundlehre
meines verehrten Lehrers Dr. P. Bruno Klammer lautet: Zusammenhänge
erkennen, denken auf mehreren Ebenen. Aber nicht da stehen bleiben, sondern
noch vernetzen, verbinden. Und wichtig: überprüfen, was geht.
Also Mögliches anpacken, Unmögliches ausscheiden. Das ist spannend.
Und was die Melodie betrifft: in einer Kritik ging die Rede von "Singsang".
"Dolomiten": In Mals sind
Sie nicht nur der Apotheker, der schreibt, Sie kümmern sich auch
eingehend um Denkmalpflege. Zurzeit um die Restaurierung des Fröhlichsturms.
Aus den Büchern weiß man, dass Sie von der Geschichte sehr
angetan sind.
J. Fragner: Mein Credo
hierzu ist im "Kranich" niedergelegt. Ganz am Ende, im allerletzten
Absatz heißt es: "Wir müssen versuchen, die wenigen Gesetze
zu erkennen, die in den weiten Zeiträumen der Geschichte walten,
und wir müssen dann auch demütig versuchen, unsere persönlichen
Wünsche und Vorstellungen der größeren Erkenntnis unterzuordnen." Für
mich ist es moralischer Auftrag, Mögliches zu versuchen. Im Beruf
als Apotheker das Beste zu geben, mit Leidenschaft zu schreiben, Bücher
herauszugeben, ein Kirchlein zu retten, einen mittelalterlichen Turm
zu restaurieren. Das spornt mich an. Denn "Wer immer strebend sich
bemüht, den können wir erlösen", lässt Goethe
den Engelchor singen. Und Faustens Seele dem Teufel entreißen.
"Dolomiten": Kultur: Finden
Menschen darin ihr Innerstes verwirklicht?
J. Fragner: Für
mich trifft es in hohem Maße zu. Aber die Liebe, im weitesten Sinne,
möchte ich auf eine noch höhere Stufe heben.
"Dolomiten":Man
weiß nicht, was Menschen umtreibt. Ihnen scheint alles leicht
von der Hand zu gehen. Landläufig käme jetzt die Frage nach
dem Geheimrezept.
J. Fragner: Es gibt keines.
Vielleicht ist mein inneres Lächeln, das aber auch aus vielen und
tiefen Abgründen stammt, mein Erfolgsrezept. Eines jedenfalls erfahre
ich immer wieder: Je mehr ich gebe, desto mehr bekomme ich an Geistigem
zurück.
"Dolomiten": Was
als nächstes kommt, verraten Sie das?
J. Fragner: Eine Erzählung. die
im Rom des Jahres 1942 spielt.
Das Interview für die Dolomiten führte:
Claudia Theiner » Zurück zur Übersicht
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