Bei biographischen Texten sollte man sich vor der Lektüre immer überlegen,
was der Zwecke des Buches ist, denn dadurch ergibt sich auch schon der
Grad der sogenannten allgemeinen Realität. "Nimm das Brot und
lauf" ist ein chronologisches Erinnerungskonglomerat über die
Jahre 1938 bis 1949, die aufzeichnende Ich-Erzählerin nennt sich
im Briefverkehr Tirolerin, der Geliebte und spätere Mann wird zum
Berliner. Diese offene Privatheit und private Typologisierung macht den
Reiz dieser Darstellung aus. Der Stoff selbst ist schon ziemlich beackert,
es kommt schon die Zeit, wo die bschriebene Zeit völlig entpersonalisierte
Geschichte wird. Das Manuskript wurde 1983 bereits einmal veröffentlicht,
was damals als sensationell empfunden worden ist, ist mittlerweile abgeklärtes
historisches Treibgut. So ist die spannendste Frage jene nach dem Erzählstandpunkt
im Ablauf der Zeit. "Ich ordne als Hinterbliebene meinen Nachlaß.
Man sollte das tun, denn es ist für mich Hinterbliebene dann leichter,
mit dem Erbe zu leben. [...] Ich fürchte, daß mir die Zeit
durcheinander gerät. Aber warum nicht, sie ist ja relativ und würde
- wenn das ginge - immer relativer." (8) Die Sorge um das erlebte
Material, das sich ständig auflöst und verändert, ist
in fast allen Absätzen zu spüren, und das ist das eigentliche
Abenteuer der Erzählung. Hier beschreibt jemand das eigene Leben
gegen das Vergessen durch die große Zeit. Daher ist der Text historisch
gesehen auch gar nicht übermäßig informativ, die große
Geschichte wird auf dem Geodreieck des Individuums abgezeichnet. Die
deklariert überschaubare Sicht des kleinen Individuums führt
auch zu moralisierendem Erleben der Ereignisse. So besteht ein SS-Kommando
aus schwarzen Schweinen, die saufen und huren und mit dem Geländewagen
fahren. (92) Das wird es eben nicht sein, was die SS ausmacht, als wenn
die Gesellschaft eine andere gewesen wäre, wenn die politischen
Kader nüchtern, keusch und mit bloßer Hinterrad-Traktion gefahren
wären. Bei einer genaueren Analyse der Darstellung wird man eben
die Frage nach dem Zweck stellen müssen. Es handelt sich um persönliche
Erinnerungen, um eine private Flügelmappe von Aufzeichnungen, sehr
tapfer, aber nicht wegen der Zeit, sondern wegen des Durchhaltens gegen
die Zeit.
Elisabeth Kraushaar-Baldauf: Nimm das Brot und lauf. Brixen: Provinz
Verl. 2001. 203 Seiten. 177,- ATS. € 12,90. ISBN 88-88118-03-9
Elisabeth Kraushaar, geb. 1915 in St. Valentin auf der Haide, lebt in
Basel-Riehen.
Helmuth Schönauer 03/12/2001 - www.schoenauer-literatur.com
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